Living the Gestalt
 

LIVING THE GESTALT

„Ich muss eine Möglichkeit finden, sie zu lehren,“ sagte Fritz Perls über die Gestalttherapie, ein Jahr vor seinem Tod. Das
heißt, die Gestalttherapie, wie Perls sie in seinem 76-sten Lebensjahr hatte lehren wollen, ist identisch mit dem Konzentrat aus
einem wilden, wechselhaften und voll ausgekosteten Leben. Es hatte damit begonnen, dass er als Schüler von den Lehrern verspottet
und von den Mitschülern ausgegrenzt wurde, weil er Jude war und gipfelte darin, dass er in den 1960er-Jahren in Kalifornien als
genialer Therapeut und Guru der neuen Befreiungsbewegung gefeiert wurde. Erst am Ende seines Lebens, 1969, war die
Gestalttherapie so weit gereift, dass Perls sie lehren wollte.

Wie können wir es wagen, Menschen zu Gestalttherapeuten ausbilden zu wollen, wenn es selbst für den Meister ein ganzes
Leben gedauert hat, um an einen Punkt zu kommen, an dem er sicher sein konnte, etwas Wertvolles zu geben? Oder einfacher:
Wie bildet man Interessierte zu Gestalt therapeuten aus?  Wir können es nur angehen, weil wir sicher sind, dass wir keine
Perls-Kopien heranbilden wollen. Ein paar technische Kniffe nachzuspielen, wie sie von Fritz Perls aus Filmen und Veröffentlichung
bekannt geworden sind, wird nicht weit reichen. Unsere Ausbildung wird also eher so etwas wie das Legen eines Fundamentes
sein, auf dem ein Leben lang aufgebaut werden kann. Wir wünschen uns, dass unsere Absolventen belebte, beseelte,
beherzte Menschen sind und jeder aus seiner individuellen Geschichte und aus seiner Lebenssituation heraus eine eigene Arbeitsweise
findet und dennoch eindeutig als Gestalttherapeut zu erkennen ist.

Als grundlegend erachten wir:

Die humanistische Psychologie und Ganzheitslehre und die dazu gehörige Grund haltung, in der es darum geht, einfühlsam,
achtsam und authentisch zu sein.

Selbsterfahrung
Wer sich selbst nicht kennt, darf nicht hoffen, andere bei der Selbsterkundung begleiten zu können.

Selbstreflexion
Wer sich seiner Vorlieben und Abneigungen nicht bewusst ist, seine Einstellungen, Tabus und die Grundlagen seines Handels nicht
kennt, wer sich selbst nie nach seinen höchsten Werten gefragt hat, wird nicht bemerken, wie er beim Klienten die Abweichung von
der eigenen Einstellung verurteilt.

Reflexion der Theorie
Hier kommt es nicht darauf an, Berge von Fachwissen zu vermitteln, sondern darauf, dass jeder zunächst sein wissenschaftliches
Vorverständnis ergründet. Es geht darum, dass wir von psychologisierenden Denkweisen so durchdrungen sind, dass es uns schon
gar nicht mehr auffällt. Das analytische Modell ist so tief verankert, dass es ein ganzheitliches Denken gar nicht erlaubt, es sei
denn es wird als solches benannt, erst dann kann es einen neuen, korrigierten Platz in unserem Verständnis einnehmen.

Praxiserfahrung
Wir werden Raum schaffen, damit Einsichten entstehen, Erkenntnisse aufsteigen, vor allem aber Erfahrungen gemacht werden können.
Die gestalttherapeutische Praxis nimmt einen großen Teil der Ausbildung ein. Es wird in der Gruppe beispielhafte Sitzungen
zwischen Ausbildern und Teilnehmern geben und die Teilnehmer werden untereinander das therapeutische Arbeiten üben – in
Übungsgruppen und unter Supervision. Frei nach Perls: Wir werden möglichst wenig darüber reden und möglichst viel tun. „Learning
by doing.”

Gruppenerfahrung
Der größte Mangel liegt bei den meisten von uns im sozialen Bereich. Es fehlt uns, mal mehr mal weniger, an interaktiver Kompetenz.
Deshalb ist Leben und Arbeiten in der Gruppe so wichtig. Ein besonderer Punkt in unserer Ausbildungsstruktur ist eine feststehende
Anzahl von Teilnehmern. Diese Gruppe bleibt von Anfang bis Ende zusammen. Auf diese Weise entsteht ein sicherer Ort, an
dem sich neue soziale Formen ausprobieren lassen und oft erfährt der Einzelne dort: Wenn ich mich ändere, ändert sich die Gruppe,
ändert sich die Gemeinschaft, ändert sich meine Welt.

Existentielle Psychotherapie
Das ist die größte Überschrift, die es für eine Gestalttherapieausbildung geben kann. Es geht darum, dass die Gestalttherapie nicht in
erster Linie auf das Symptom schaut – die Essstörung, die Panik - attacken, die Vereinsamung – sie schaut aufs Ganze. Unsere
vordergründigen
Störungen machen uns nur darum so sehr zu schaffen, weil sie sich immer vor dem Hintergrund der „letzten
Fragen“ abspielen: Sinn und Sinnhaftigkeit, Tod und ewiges Leben, Vereinsamung und Liebe, Bindung und Freiheit. Die zukünftigen
Gestalttherapeuten müssen selbst mit diesen Themen vertraut sein, sonst können sie später mit dem Klienten nicht hinter die
Erscheinungsform auf das Wesentliche schauen. Es wird also immer um das Leben in seiner breitesten Entfaltung gehen und deshalb
heißt die Ausbildung auch: Living the Gestalt.